Als die Bilder singen lernten. Materialien zum 11. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 5. - 8. November 1998.

Ralph Benatzky

Probleme der Tonfilm-Komposition

in: Licht-Bildbühne, 15.3.1930.


Der bekannte Komponist Dr. Ralph Benatzky nimmt im folgenden zu dem diffizilen Thema »Tonfilm« Stellung.

Die Probleme der Tonfilm-Komposition, die mich in meiner bislang neunmonatigen Tätigkeit bei der Ufa am meisten interessierten, sind zweifacher Art. Einmal die Wahl der Mittel, das andere Mal die Wahl der Form.

Als Ausdrucksmittel der Tonfilmmusik steht dem Komponisten alles, was die moderne Technik kennt, in viel reicherem Maße zur Verfügung, als es ihm z.B. das Theater bieten kann. Dadurch, daß die Umsetzung seiner Schöpfung in Klangwirkung einmalig erfolgt, die Last des Orchester- und Sänger-Apparates z.B. nicht wie bei der Bühne auf den Tagesetat verrechnet zu werden braucht, kann er für dieses eine Mal natürlich das Beste vom Besten haben.

Er hüte sich da aber vor jeglicher Übertreibung. Er glaube ja nicht, daß ein »Mehr« in der Besetzung auch ein »Mehr« in der Wirkung ausmache! Das Aufnahmemikrophon verträgt keine Über-Belastung und es ist ungemein lehrreich und interessant, zu verfolgen, wieviel schon zwei Streicher mehr oder weniger bei der Wiedergabe ausmachen!

Ich persönlich lernte, wenn das Wort gestattet ist, durch »Anhörungs«-Unterricht. Ich ließ mir alles irgendwie Erreichbare, tonfilmisch Aufgenommene, in unseren Vorführungsräumen vorführen, nicht ohne vorher die genaue Orchesterbesetzung der vorgeführten Stücke ermittelt zu haben. An der Wärme oder Kälte des Orchesterklanges lernte ich, wie ich es machen resp. nicht machen soll. Danach stellte ich mir mein Orchester zusammen, und dann »hörte ich es ab«. Nach einigen Umsetzproben war die Tonfarbe gefunden, aber das, was die ganz besondere warme, natürliche Farbe meines Orchesters ausmachte, entdeckte ich durch einen Zufall. Nicht jede Tonart eignet sich für den Tonfilm!

Dadurch, daß die tiefen Frequnzen zuungunsten der hohen besser »kommen«, ergab sich diese oben zitierte, wie ein Paradoxon klingende, Tatsache. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen und hat wohl auch nur fachliches Interesse, würde ich jetzt die sonderbare Beobachtung näher erläutern. Auch über die sattsam bekannte Tatsache, welche Instrumente besonders gut klingen (in der Tonfilm-Wiedergabe), und welche möglichst zu vermeiden sind, kann ich mich hier nicht verbreiten. Ich möchte zum Gebiet »Wahl der Mittel« nur grundsätzlich noch sagen: Möglichste Abwechslung, möglichste Farbigkeit, möglichste Häufung von Überraschungsmomenten sind das Unerläßliche.

Die kleinste Nuance wirkt, die feinste Pointe »kommt«. So wie es »Photogénique-Gesichter« gibt, Gesichter, die im Leben unschön sein können und in der Photographie hinreißend wirken, so gibt es »Photogénique-Ohren«. Das Gefühl für die Mikrophonwirkung läßt sich nicht lernen. Es ist eine Begabungssache und keine »Routine« fördert sie.

Jedesmal ist der Raum, die Akustik, die Orchesterdisposition anders, und zu fühlen, was für diesen Spezialfall erforderlich ist, das eben ist die Sache des »flair«.

Was den zweiten, besonders interessanten Punkt, die Wahl der Form, anbelangt, richtet sich diese wohl nach dem Sujet; aber, sie richtet sich eben nur danach, will heißen: das Sujet ist nicht ausschlaggebend. Der Tonfilm soll auf die breiteste Masse wirken und vor allem, er soll wirken.

In unserer nervösen, gehetzten Zeit wirkt aber wirklich nur das Prägnante, Präzise, augenblicklich Faszinierende. Daraus ergibt sich von selbst, daß nur kurze, übersichtlich-klare Themen gewählt werden können, und daß nur die Melodik siegen wird.

Gewiß nicht der überwundene Wechsel von Tonica und Dominante, aber ebensowenig die Atonalität, gewiß nicht nur die »Schlager«-Musik, aber ebensowenig langatmige Opernfragmente.

Die ungeheuren Popularisierungsmöglichkeiten einer Melodie durch den Tonfilm legen dem Komponisten auch eine ungeheure Verantwortung auf die Schultern, die mir leider noch zu wenig erkannt zu sein scheinen. Der Geschmack, die musikalische Kultur einer ganzen Generation kann durch den Tonfilm bestimmt beeinflußt werden, dessen müssen sich die verantwortlichen Faktoren bewußt sein! Und so erfolgreich der ausländische Tonfilm zurzeit sein mag, die große Tat, höchstes Niveau und beste Kultur in die Tonfilmmusik zu bringen, wird bestimmt von dem Volk der Denker und Musiker ausgehen, von uns Deutschen!


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