Triviale Tropen
Materialien zum 9. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 1996
Zeitgenössische Pressestimmen

Filmreisen oder Kunstbauten?

Dr. Willi Wolff

in: Film-Kurier, Nr. 8, 9.1.1922

RÄTSEL DER URWALDHÖLLE


Der große Erfolg, den die auf Auslandsexpeditionen aufgenommenen Films der letzten Zeit gehabt haben, lassen die Frage auftauchen, ob es nicht im Interesse des deutschen Films liegt, ihm eine größere Ausnutzungsfähigkeit und ein allgemeines Weltinteresse dadurch zu geben, daß die Außenaufnahmen überhaupt nicht mehr mit Hilfe von Kunstbauten, sondern im Ausland an Ort und Stelle gemacht werden. Diese Frage steht gerade jetzt, wo die Vorbereitungen für die neue Saison allgemein begonnen werden müssen, im Brennpunkt des Interesses. Wenn ich mich trotz des Erfolges meines Films: DIE ABENTEURERIN VON TUNIS gegen die Filmexpeditionen wende, so geschieht dieses von folgenden Gesichtspunkten aus:

Zu der Zeit, als ich die Expedition nach Afrika ausrüstete, war die Valuta der Mark bedeutend besser, als heute. Auch die Honorare für Schauspieler, Operateure und der Preis des Rohfilms unterschieden sich wesentlich von dem jetzigen Stande. Heute würden die Kosten für eine derartige Expedition den Film von vornherein in einer Höhe belasten, daß er in Deutschland überhaupt nicht mehr lukrativ und auch für das Ausland, das ja den deutschen Film leider nicht nur wegen seiner Güte, sondern vor allem wegen seiner Billigkeit kauft, nicht entsprechend finanziell ausnutzbar wäre.

Ein zweiter Punkt, der gegen die Expeditionen spricht, besteht in der Schwierigkeit, geeignete Schauspieler von Ruf und Ansehen für eine Monate währende Zeit zu verpflichten. Ist unter größten Schwierigkeiten endlich ein geeignetes Ensemble zusammengestellt, so kommt während der Reise ein schwerwiegendes Moment hinzu, nämlich der Gesundheitszustand der Mitglieder. Bei der Jacoby-Expedition starb der Schauspieler Alexander Eckard. Bei meiner eigenen kam es täglich zu mehr oder minder schweren Erkrankungen der Schauspieler, die mich zwangen, in meiner Eigenschaft als Mediziner dauernd Hilfe zu leisten. So wurden während der sechs Wochen währenden Reise unter anderem verbraucht: 90 Gramm Opiumtinktur, etwa 100 Tanalbintabletten, 10 Ampullen Morphiumlösung, etwa 50 Bromualtabletten, etwa 20 Adalintabletten, daneben Unmengen Pflaster, Verbandsstoffe, Baldriantinktur, Hoffmanntropfen usw.

Die Mitglieder, oft wochenlang ohne Nachricht von zu Hause, befinden sich beständig in starker Erregung, die sich bei geringfügigsten Konflikten häufig recht unangenehm bemerkbar macht. Hierdurch leidet die schauspielerische Leistung beträchtlich, schwierige und ausdrucksvolle Spielszenen sind entweder gar nicht oder nur mit größter Schwierigkeit durchzuführen.

Hinzu kommt noch die Sehnsucht nach Hause, nach der Familie und dem geordneten Leben in der eigenen Wohnung. Da es im wesentlichen bei einer solchen Film-Expedition darauf ankommt, Land und Leute in ihrer Ursprünglichkeit auf den Filmstreifen zu bannen, so unterscheiden sich diese Reisen sehr stark von denen, die in normalen Zeiten von Vergnügungsreisenden unternommen werden. Während diese die eleganten Luxushotels in den großen internationalen Orten aufsuchen und alle Annehmlichkeiten und jeden normalen Komfort genießen, muß sich der Filmreisende oft mit elenden, schmutzstarrenden Quartieren in kleinen Ortschaften begnügen und sich mit Speisen ernähren, die seinem Geschmack widerstehen, Ekel- und Brechreiz hervorrufen und den Gesundheitszustand schädigen.

Der vorsichtige Operateur wird zwar Chemikalien und Entwicklungsschalen mitnehmen, um Probestücke des Films zu entwickeln. Er hat aber keine Garantie, daß nicht auf der Reise durch Beschädigung des Gepäckes Licht oder gar Wasser in die Filmschachteln eindringt und die ganze mühevolle Arbeit illusorisch macht. Bei der unter Leitung des bekannten Regisseurs Uwe Jens Krafft unternommenen Expedition nach Italien und Nordafrika erkrankten nacheinander vier Vertreterinnen der Hauptrolle. Der Apparat wurde durch Sandstürme ständig beschädigt und, nachdem monatelang in schwerster Arbeit endlich die Aufnahmen beendet waren, wurde bei der Rückreise die Filmkiste bei einem Eisenbahnunfall in das Wasser geschleudert und der Film vollkommen verdorben. Wenn man alle die genannten Schwierigkeiten in Betracht zieht, die sich bei der Disposition niemals voraussagen lassen, so kann man ermessen, daß sich der Film durch derartige unerwartete Zwischenfälle, hinsichtlich der Kosten, ins Unermeßliche steigern kann.

Aber auch mit noch anderen Schwierigkeiten hat man zu kämpfen. Die ausländischen Behörden unterstützen uns Deutsche nur in bescheidenem Maße, und die deutschen Konsuls nehmen unser Interesse häufig so schlecht wahr, daß sie durch Zaghaftigkeit und Mangel an Initiative die Filmexpedition mehr hemmen als fördern. Als wir beispielsweise in Genua Ärgernis mit den Behörden hatten, versagte der deutsche Konsul vollkommen, und nur durch die tatkräftige Unterstützung des – es klingt fast unglaublich – französischen Konsuls gelang es uns, die Weiterreise durchzusetzen. Unfreiwillige Verzögerungen sind an der Tagesordnung und kosten Geld. So war ich gezwungen, auf Risiko zwei Schauspieler nach Barcelona mitzunehmen, ohne damit rechnen zu können, daß sie von den Firmen, bei denen sie weiter engagiert waren, noch einen Urlaub von einigen Tagen erhalten würden. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätten sie sofort nach Deutschland zurückkehren müssen, ohne daß überhaupt eine Szene mit ihnen gedreht worden wäre.

Rechnet man zu den ungeheuren Reisekosten noch die nicht geringen Diäten und Gehälter, so kann man ermessen, welche Gefahr in finanzieller Beziehung dem Film droht, besonders, wenn er für Deutschland und einen Teil des Auslandes vorher verkauft ist, und die Kosten unter Umständen weit höher werden, als die zu erzielenden Einnahmen. Das amerikanische Geschäft, mit dem ein Teil der Fabrikanten von Anfang an rechnet, schwebt doch in Wirklichkeit in der Luft und darf nicht in die Kalkulation einbezogen werden. Niemand kann voraussehen, ob der Film den erwarteten Erfolg erzielen wird. So lange es sich um verhältnismäßig geringe und unschwer zu realisierende Beträge handelte, war die Gefahr nicht so groß. Heute aber, bei den durch die Valutasteigerung bedingten Riesenkosten, ist es gefährlich, in einer Auslandsexpedition ein großes Kapital anzulegen. Womit man bei einer Filmexpedition rechnen muß, mag Folgendes zeigen:

Als wir in Barcelona unseren Apparat aufstellten, stieß ein Schauspieler aus Versehen an das Stativ, die Maschine stürzte um und wurde beschädigt. In Barcelona war kein Ersatzapparat aufzutreiben; nur mit Hilfe eines Mechanikers konnten wir den Apparat notdürftig instandsetzen, ohne verhindern zu können, daß er alle Augenblicke versagte.

Um uns einen neuen Apparat aus Berlin oder Paris zu verschaffen, wären etwa sechs Tage notwendig gewesen, inzwischen hätte man Diäten und Gagen zahlen müssen, so daß sich die Kosten für einen neuen Apparat, ohne die Eigenkosten, auf eine Viertelmillion gestellt hätten.

Die Diäten müssen so hoch bemessen werden, daß die Schauspieler auch Zigarren, Zigaretten und Getränke davon bezahlen können. Während in Deutschland hauptsächlich bei der Bemessung die Kosten für Unterkunft und Ernährung in Frage kommen, müssen im Auslande weitergehende Spesen bezahlt werden, weil bei der hohen Valuta unter Umständen die Unkosten für derartige Gegenstände des täglichen Bedarfes höher sind, als die in deutscher Valuta gezahlten Gagen, und man keinem Menschen zumuten kann, umsonst zu arbeiten. Für einen Expeditionsleiter sind diese Schwierigkeiten geradezu nervenzerstörend, denn er haftet als gewissenhafter Mensch dafür, daß die vorher berechnete Kalkulation nicht überschritten wird.

Die Kosten einer Filmexpedition stellen sich heute wesentlich höher, als in Deutschland hergestellte Kunstbauten, die zwar nicht den bildmäßigen Reiz der Originalaufnahmen haben, dafür aber die Möglichkeit bieten, in der Gestaltung bessere Wirkungen zu erzielen. Wir haben beispielsweise in Tetuan viele der schönsten Straßenzüge nicht aufnehmen können, weil Telegraphen-, Starkstromleitungen und elektrische Lampen an allen Ecken und Enden störten.

Weiterhin ist zu bedenken, daß nicht alle Auslandsbilder ein internationales Interesse haben, diejenigen aber, welche für den Film von wirklichem Wert sind, bereits restlos gekurbelt wurden. Norwegen, Schweden, Dänemark, Spanien, Portugal, Nordafrika, Italien, Dalmatien, Korfu, Griechenland und die Riviera sind durch die vielen im letzten Jahre stattgefundenen Expeditionen verwertet. Es bleibt nur noch Rußland übrig, das für uns zur Zeit keine Möglichkeiten bietet und auch nicht ausreichend interessante Motive aufweist, und der ferne Orient. Während Afrika fieberfrei ist, herrscht in der Türkei Malaria und Flecktyphus neben anderen Seuchen, die Gesundheit und Leben der Darsteller gefährden. Indien, China, Japan, und in erhöhtem Maße noch Java und Sumatra, erfordern neben den ungeheuren Kosten eine Reisedauer von mehr als zehn Monaten und weisen dazu noch die Gefahr auf, daß bei irgend einem unerwarteten Zwischenfall überhaupt keine Möglichkeit besteht, rechtzeitig aus der Heimat Ersatz für erkrankte Schauspieler oder verdorbenes Material zu beschaffen. Schließlich steht es außer dem Bereich der Möglichkeit, soviel Rohmaterial, soviel Apparate und Schauspieler mitzunehmen, daß sofort für Ersatz gesorgt ist.

Bedenkt man hingegen, daß der Baukünstler in dem Film DIE HERRIN DER WELT ausgezeichnete Kunstbauten geschaffen hat und chinesische Motive bis in die kleinsten Details wiedergab, ebenso in dem Film DAS INDISCHE GRABMAL neben großartigen Bauten sogar ein Urwald in täuschender Naturtreue gezeigt wurde, so muß man zu dem Schluß kommen, daß es kaum ein gefährlicheres Unternehmen gibt, als Filmaufnahmen in fernen unkultivierten Ländern, und daß es sich jeder dreimal überlegen soll, ob er nicht lieber Kunstbauten in der Heimat, wenn sie auch nur Imitationen sind, wählt, als das gewagte Experiment einer Expedition. Kunstbauten kosten nur Geld. Expeditionen aber außer Geld eiserne Nerven und Gesundheit. Kunstbauten mögen vielleicht auf Einwände seitens der Kritik stoßen. Filmexpeditionen tragen aber in sich das Risiko des völligen Mißlingens und damit den Ruin der ausführenden Firma.


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