Reihe CineGraph Buch


Helga Belach, Wolfgang Jacobsen (Redaktion):
Richard Oswald. Regisseur und Produzent

Richard Oswald sehen

Helga Belach und Wolfgang Jacobsen

Max Adalbert in DER HAUPTMANN VON KÖPENICK (1931)


Auf Fotos wirkt Richard Oswald klein, untersetzt; ein rundlicher Mann. Freundlich kluge Augen, einer, der beobachtet, einfängt, auf dem Sprung ist. Das Joviale trügt. Manchmal trägt er einen weißen Kittel. Ein Regisseur bei der Arbeit.

Den zerschossenen Arm starr eingebunden, das Gesicht von einer schwarzen Augenbinde entstellt, die hagere Gestalt hält sich -- wie von einem Fischgrätkorsett gestützt -- nur mühsam aufrecht. In LADY HAMILTON spielt Conrad Veidt den Admiral Nelson. Aus der Schlacht kommt er als derangierte, geflickte Marionette zurück. Ein Regisseur demontiert seinen Star.

In LUMPEN UND SEIDE ist Reinhold Schünzel ein mit allen Wassern gewaschener Charmeur. Er pliert und schlust, spielt mit den naturalistischen Marotten eines anderen Stars. In Augenblicken kann man die Karikatur des Emil Jannings ahnen, auf jeden Fall: Schünzel rempelt Jannings. Mit dem augenzwinkernden Einverständnis des Regisseurs.

Das sind zwei Bilder von vielen. Richard Oswald war ein Schauspielerregisseur, nachlässig vergnügt, auch despotisch. Ein Regisseur auf der Jagd nach dem Spielglück. Der Schauspieler Paul Bildt nennt in seinen Erinnerungen Oswald einen »Regie-Napoelon« und einen »Willensfanatiker«; da schwingen Distanz und Bewunderung gleichermaßen mit. Er zeichnet aber auch das Bild eines weichen, etwas ängstlichen Herrn. Der Filmarchitekt Heinrich Richter berichtet in einem Interview mit dem Regisseur Gerhard Lamprecht über Oswalds Arbeitsweise. Es sei angenehm, mit ihm zu drehen, »weil er sich um nichts kümmerte«. Jedenfalls bei den Dekorationen. »Am liebsten würde er vor schwarzem Samt spielen.« Oswald kam vom Theater und in seiner Regiekonzeption blieb er der Bühne verpflichtet. Aber Richter sagt auch: »Oswald war ein Meister des Schneidens.« Der Regisseur und Produzent Richard Oswald hat viele Facetten.

Kaum ein Werk eines anderen deutschen Filmmachers der Stummfilm- und frühen Tonfilmzeit ist so uneinheitlich, so vielfältig. Oswald drehte Filme nach literarischen Vorlagen (von Hermann Sudermann bis Edgar Allan Poe), Detektivfilme, melodramatische Gesellschaftstücke und Lebensbilder, Komödien. In der Wahl seiner Sujets setzte er oft auf Spektakuläres, er witterte ein Geschäft, aber er hatte auch etwas zu sagen. Immer haben seine Filme etwas Improvisatorisches. Das Effektsichere steht neben dem Gehuschten. Der Kritiker Willy Haas attestierte Oswalds Filmen »Witz, einen überlegenen Zynismus, eine Treffsicherheit, eine Frechheit, einen Blick für Satire und Groteske, die ihresgleichen suchten. Er war fast eine Art Hogarth des frühen Berliner Sittenfilms.«

Seine Filme entwerfen -- soweit das bei einem nur fragmentarisch erhaltenen Werk zu beurteilen und über die Literatur zu rekonstruieren ist -- ein Zeitbild. Politik und Vergnügen, Kunst und Kommerz stehen dicht beieinander, bedingen sich fast.

In der Filmgeschichtsschreibung wird das Werk Richard Oswalds eher beiläufig erwähnt. Er gehört nicht unbedingt zum klassischen Kanon. Neue Blicke auf seine Filme waren überfällig. Es sind Blicke, die sich kreuzen. Dieses Buch versammelt einige Texte, fußend auf Vorträgen, die auf dem 2. filmhistorischen Kongreß von CineGraph -- Hamburgisches Centrum für Filmforschung im November 1989 gehalten wurden. Hinzugekommen sind Aufsätze, die anschließend für diesen Band geschrieben wurden. Sie sind eine Annäherung an ein weitgehend unbekanntes Oeuvre.

Eine Geschichte im Leben des Richard Oswald endete mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Oswald mußte fliehen. Seine Karriere konnte er im Exil nur bedingt fortsetzen. Ein arbeits- und bildertrunkenes Werk fand sein willkürliches Ende.

Oswalds Sohn Gerd, der schon als Kind den Vater beim Filmen assistiert hatte, wurde ebenfalls ein erfolgreicher Regisseur und Produzent -- ein deutsch-amerikanischer. Und dessen Sohn, Richard, setzt die Familientradition in dritter Generation fort -- ein amerikanischer Regisseur. Auch das ist ein Stück der Geschichte des Richard Oswald...

Berlin, im Juli 1990


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