Reihe CineGraph Buch

Jan Distelmeyer (Red.)
Tonfilmfrieden/Tonfilmkrieg

Die Geschichte der Tobis vom Technik-Syndikat zum Staatskonzern.

Jan Distelmeyer
Vorwort

 

Syndikat, Studio, Staatskonzern

Der vorliegende Band markiert den dritten Schritt, mit dem die CineGraph-Bücher Filmgeschichte als Geschichte von Produktionsfirmen erschließen. Auf diesem Weg, vergessene oder verdrängte Aspekte der Geschichte des Films in Deutschland zu entdecken und zugänglich zu machen, bildet der Tobis-Konzern einen Meilenstein: Denn obschon die Tobis (Tonbild-Syndikat AG) neben der Ufa einen der größten und mächtigsten Filmkonzerne der deutschen Filmwirtschaft bildete, ist ihre Geschichte bislang so gut wie unerforscht. Dabei fordert gerade die Tobis eine Auseinandersetzung heraus, die unterschiedliche Diskurse und Fragestellungen miteinander verbindet: Filmtechnische und ökonomische Perspektiven werden hier ebenso wichtig wie die Untersuchung spezifischer Filmformen, das Verhältnis von Ideologie und Kino sowie die Verbindung der Konzern- mit der Staatsgeschichte.

Gegründet wurde die Tobis 1928 auf Drängen der Deutschen Tonfilm AG, die auf eine Standardisierung der europäischen Tonfilmtechnik abzielte. Die bedeutendsten europäischen Patenthalter und Firmen der Elektroindustrie sollten zu einer Cooperation bewegt werden, um so der US-Konkurrenz mit ihren Tonfilmen und Techniken entgegenzutreten – es galt die Absatzmärkte für den neuen Film zu sichern. Nur ein Jahr später schloss die Tobis mit der als Konkurrenz gegründeten Klangfilm (Siemens, AEG) einen Kartellvertrag, der den Markt unter den beiden Firmen aufteilte. Nach weltweiten Tonfilm-Patentstreitigkeiten einigten sich die Tobis-Klangfilm-Gruppe und Vertreter der US-Tonfilmindustrie im »Pariser Tonfilmfrieden« von 1930 auf eine Aufteilung der Interessengebiete. Dabei wurden der deut-schen Gruppe die Absatzmärkte Deutschland, Österreich, Schweiz, die Niederlande sowie Skandinavien und die Balkanstaaten zugesprochen.

Binnen weniger Jahre entwickelte sich die Tobis AG vom Syndikat mit einer Vormachtstellung beim Verleih von Tonapparaturen zu einem europaweit aktiven Konzern, der nun auch in unabhängigen Studios Filme plante, produzierte und verlieh. So entstanden unter dem Zeichen der Tobis eine Vielzahl internationaler Produktionen. Experimentierfreudige Regisseure wie Walther Ruttmann, Hans Richter, Alexis Granowsky und G. W. Pabst arbeiteten ebenso für die Tobis wie René Clair, der 1930/31 für die französische Société des Films Sonores Tobis u.a. die Klassiker SOUS LES TOITS DE PARIS, LE MILLION und À NOUS LA LIBERTÉ inszenierte.

1937 wurde – nach einer tiefgreifenden Krise – die Tonbild-Syndikat AG in die Tobis-Filmkunst GmbH überführt und somit Teil einer komplexen halbstaatlichen Filmindustrie. Ziel dieser verdeckten Verstaatlichung der Nationalsozialisten war es, alle Bereiche der deutschen Filmproduktion unter direkte staatliche Kontrolle zu bringen. Die einzelnen Firmen hatten nun sowohl nach privatwirtschaftlichen Rentabilitätskriterien zu funktionieren, als auch im Rahmen der ideologischen Zensur. Unter diesen Bedingungen entstanden Filme wie die Filmbiografien ROBERT KOCH – DER BEKÄMPFER DES TODES (Hans Steinhoff, 1939) und FRIEDRICH SCHILLER – DER TRIUMPH EINES GENIES (Herbert Maisch, 1940), Hans Bertrams FEUERTAUFE (1940), der mit dokumentarischem Gestus den Überfall auf Polen glorifizierte, sowie vermeintlich unpolitische Familienkomödien wie Erich Engels ALTES HERZ WIRD WIEDER JUNG (1942/43). Das letzte Kapitel der Tobis-Geschichte wurde von der Maxime geprägt, Filmwerke zu schaffen, die, wie Emil Jannings – künstlerisches Aushängeschild der Firma – 1941 im Film-Kurier (Nr. 75, 29.3.1941) betonte, »eine nationale Gemeinsamkeit des Erlebens und Urteilens« fördern sollten.

Die Beiträge der Autorinnen und Autoren dieses Buches zeichnen nicht nur diese Entwicklung vom Technik-Syndikat zum Staatskonzern nach – sie skizzieren zugleich den historischen Kontext, werfen Schlaglichter auf einzelne Filme und Personen und problematisieren darüber hinaus aktuelle Formen der Geschichtsschreibung. Stimmen die gängigen Vorstellungen zum »NS-Film« und zur Propaganda im Kino? Und wie kann angesichts der unterschiedlichen Firmen, die unter dem Dach der Tobis wirkten, überhaupt von der Geschichte »der Tobis« gesprochen werden?

Der Vielfalt der Aspekte, die in der Auseinandersetzung mit der Tobis berücksichtigt werden müssen, begegnet der vorliegende Band mit einer Vielfalt analytischer Ansätze. Es gilt einen Bogen zu schlagen von der Technikgeschichte des europäischen Tonfilms Ende der 1920er Jahre über die Entwicklung eines europaweit agierenden, international finanzierten Filmkonzerns um 1930 bis hin zum Ausbau des Unternehmens zu einem Großproduzenten unter den Bedingungen des »Dritten Reichs«. Erstaunlich sind dabei nicht zuletzt die Parallelen, die sich zu aktuellen Produktions- und Vermarktungsprozessen auftun. Die Frage, ob die Tobis als das erste Franchise-Unternehmen der Filmgeschichte gelten kann, wird hier ebenso gestellt, wie auch die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Hans Steinhoffs OHM KRÜGER, dem zweitteuersten Prestigeprojekt der NS-Zeit, mit den Techniken des heutigen Blockbuster-Kinos verglichen werden.

So vollzieht dieser Band, geleitet von dem Markennamen Tobis, einen Weg durch unterschiedliche Abschnitte der deutschen Filmgeschichte, der immer wieder auch in andere europäische Kinematographien und in die Gegenwart führt.

Jan Distelmeyer, Hamburg, im Sommer 2003


Materialien zum gleichnamigen filmhistorischen Kongreß (2002)
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